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Der Osten des Westens

Zur Auffrischung: Gestern liefen bei einer Kundgebung gegen Repressionen ungefähr einhundert Neonazis mit schwarz-weiß-roten Fahnen, Pyrotechnik und Lautsprecherwagen durch die Stadtteile Dorstfeld und Marten im Westen Dortmunds. Auch für den heutigen Samstag ist ein Naziaufmarsch angekündigt. Die Dortmunder Antifa-Strukturen (für Ortsfremde: dies sind nicht weniger als vier) waren von der schnellen Mobilisierung vollkommen überfordert, es wurde Zielpersonen (PoC, Journalist_innen, bekannte Antifaschist_innen) davon abgeraten, die Demonstrationsroute und benachbarte U- und S-Bahnhöfe zu betreten, und bis auf die Livestreams des mutigen Bloggers Robert R. gab es keinerlei Berichterstattung.

Dass die Polizei den Mob streckenweise völlig unbegleitet laufen lässt und in der gleichen Zeit lieber – natürlich gänzlich frei von rassistischen Ressentiments – Shishabars in der Nordstadt kontrolliert und dort (wie ich aus erster Hand erfuhr) willkürliche Ausweiskontrollen vornimmt, ist weit davon entfernt, ein Skandal zu sein, denn es kann beim besten Willen nicht überraschen. Erst recht nicht in einem Bundesland, in dem Rechtsextreme wie Rainer Wendt einen massiven Einfluss auf die Polizeiarbeit haben.

Das alles können wir an dieser Stelle getrost beiseite lassen.

Aber solcherlei Aufmärsche bleiben nicht ohne Folgen. 

Da wären einerseits die offensichtlichen. People of Colour trauen sich nicht mehr vor die Tür, Einrichtungen politischer Gegner_innen werden entglast, Journalist_innen („Lügenpresse“) attackiert und (insbesondere die ortsansässigen) Nazis fühlen sich wieder einmal bestärkt und die Stadtteile wieder einmal unsicherer. Ich selbst wurde bisher bei jedem Aufenthalt in dieser Gegend der Stadt mindestens aus einem fahrenden Auto heraus angepöbelt und homophob beleidigt – Nazis hassen Punks.

Doch die Strömungen unter der Oberfläche sind mindestens ebenso gefährlich.

Sei es Dorstfeld oder – um ein Beispiel aus Ostdeutschland zu nennen – die Gegend um das Büro des III. Weg in der traditionsreichen Nazihochburg Plauen, wo die Rechtsextremen so sehr den Alltag prägen, dass sie sich nicht mehr ignorieren lassen und verwurzelte Anwohner_innen deswegen fortziehen: Wenn Faschist_innen merken, dass sie sich frei und unwidersprochen bewegen können, fühlen sie sich wohl und es entstehen pull-Faktoren.

Zuvor in ihren Gemeinden isolierte Rechte ziehen dorthin und bilden Communities, und mit diesen kommen Netzwerke und geteilte Infrastruktur, vom Lautsprecherwagen bis zur Adresse des Waffendealers. Dass ein massiver Anteil der militanten Neonaziszene in Deutschland auf der Gehaltsliste des Inlandsgeheimdienstes steht, wie die NSU-Prozesse und UAs zeigten, verbessert die Situation leider kein Stück, selbst wenn Hans-Georg Maaßens Nachfolger die intime Zusammenarbeit der Behörde mit den bürgerlichen Rechten in Gestalt der AfD nicht fortsetzen sollte.

Dies wäre wünschenswert: ein koordinierteres Handeln der (zugegebenermaßen abgekämpften und erschöpften) Dortmunder Antifaschist_innen; mehr Unterstützung aus dem Umland; eine Gegenöffentlichkeit, die sich mit Antifaschist_innen solidarisiert, anstatt scheinheilig abseits des Geschehens „Würstchen zu grillen“ (dieser Ausdruck ist hier als Beispiel für folgenlose Aktionen der bürgerlichen Mitte gegen Rechts zum Meme geworden) und Blockaden zu verurteilen; eine Politik, die endlich ein Problembewusstsein entwickelt; weiterhin neue Strukturen, wo noch keine sind: mehr unabhängige Gruppen, die auf Naziaufmärsche flexibel und zeitnah reagieren können.

Dortmund ist für mich eine neue Härte. Ich bin in Kiel aufgewachsen. Einmal sagte man mir in einem Gespräch mit anderen Linken wörtlich, ich habe ja zu antifaschistischer Arbeit nichts zu sagen, da ich aus einer Stadt komme, in der die fünf Nazis abends von der Antifa nach Hause zu Mama gebracht werden. Selbst die AfD hat mittlerweile ihre Wahlparties aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt heraus in das Umland verlegt, weil sie weiß, dass sie sonst mit einem lauten Abend zu rechnen hat. Aber all das war nicht immer so. Mir zeigt es: es ist möglich, der faschistischen Entwicklung wirksam und nachhaltig entgegenzutreten.

Packen wir es an, es ist wichtiger denn je.