Linkspartei und Organisation von Klassenbewusstsein – ein unzeitgemäßer Erklärungsversuch

Was ist eigentlich bei der Linken los?

Müsste Mensch Meier nicht annehmen, dass die linken Parteien erstarken, in Anbetracht der zunehmenden sozialen Spaltung in arm und reich, in progressiv und reaktionär – oder vielmehr einer Spaltung, die jüngst, mit breitem Zugriff auf soziale Medien und andauernden Befreiungskämpfen all jener, denen die Stimme verweigert wurde und wird, erst bewusst werden kann? Und nachdem progressive Bewegungen weltweit in den letzten Jahren unverhofft große Erfolge erzielen konnten?

Tatsächlich ist es, nach allem, was mensch sieht, keine schöne Zeit, um Parteilinke*r zu sein. Im Osten ist Die Linke stark, in Thüringen stellt sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. Im Rest Deutschlands jedoch schwächelt sie weiterhin, scheiterte in Schleswig-Holstein im Mai 2017 an der Fünfprozenthürde, bei den Umfragen zur Bundestagswahl schwankte sie zwischen acht und elf Prozent als nach im August vorherrschenden Prognosen fünftstärkste Kraft mit wenig Koalitionsaussichten, seit Martin Schulz Rot-Rot-Grün de facto eine Absage erteilt hat. Letztlich schnitt sie mit 9,2 Prozent ab (69 Sitze im Bundestag), was zwar ihr zweitstärkstes Ergebnis seit der Fusion 2007 darstellt, aber immer noch einen Rückgang an Stimmen seit der letzten Wahl. Und Sahra Wagenknecht ist so unbeliebt wie vor ihr Oskar Lafontaine, was auch jetzt, nach der Wahl, zu erneuten Vorwürfen führt – denen sich auch die Linksjugend in großen Teilen anschließt – sie sei mit Konservativen und Rechten Kompromisse eingegangen, um die Partei damit „wählbarer“ zu machen – wenig überraschend mit entgegengesetztem Ergebnis.

Auf der einen Seite steht die potenzielle Wählerschaft, der das Programm nicht radikal genug ist, auf der anderen Seite sämtliche politischen Verhandlungspartner, denen es zu links ist.

 

Kompromiss und Antagonismus

„Die Mehrheit der Lohnabhängigen und Prekarisierten hofft, an der Seite der Mächtigen besser durch die Krise und die gegenwärtigen und zukünftigen Unsicherheiten zu kommen, als mit Widerstand und Solidarität. Dieser Umstand gehört zu den Folgen und Bedingungen für die relative Schwäche der gesamten Linken hierzulande“,

heißt es meines Erachtens sehr treffend in einem Positionspapier der Interventionistischen Linken.

(http://www.interventionistische-linke.org/die-bedingungen-unter-denen-wir-leben-und-kaempfen)

Dieses Verhältnis ist repräsentativ für die Schwierigkeit, die Arbeiter*innenklasse mittels einer Partei zu organisieren. Die relative Stärke der Linkspartei in den Neuen Bundesländern zeigt das Erbe dieser leninistischen Tradition deutlich an. Hinzu kommt der Habitus, der in der parlamentarischen Politik gelebt wird oder wenigstens unterstellt wird und von dem sich Teile der potenziellen Parteibasis so sehr abgeschreckt fühlen, dass sie vielleicht wählen, aber sicherlich nicht eintreten und ihre Bedürfnisse kundtun würden. Und ein allzu bemühter Versuch, diese Barrieren abzubauen, würde auch nur in wachsenden Populismus führen.

Woher kommt diese Abneigung zustande? In der Soziologie ist das Phänomen als Blackboxing bekannt (nach Bruno Latour). Blackboxing bedeutet im weitesten Sinne die Verinnerlichung und damit Verschleierung der Funktionsweisen sozialer Produktionsprozesse (Produktion von Waren – und Erzeugnissen wie Meinungen, sozialer Verträge, Wissenschaft, …) als Ergebnis fordistischer Arbeitsteilung, in der auch das Regieren und das Besitzen zu entlohnten Tätigkeiten werden.

Einfach ausgedrückt: Im Zweifel ist die einfache Arbeiterin doch eher geneigt, sich einer Gewerkschaft anzuschließen – zumal diese enger am Alltag arbeitet. Ich selbst halte nichts von Parlamentarismus, aber als Gewerkschafter bin ich in den gegebenen Verhältnissen angewiesen auf eine Partei, die mich und meine Genoss*innen schützt – verfassungsrechtlich, und unmittelbar vor Repression. Vernetzte und solidarische Kämpfe in allen Bereichen der Gesellschaft bleiben unbedingte Notwendigkeit für eine zeitgemäße Linke in Deutschland. Zweifellos braucht es also weiterhin linke Arbeit in den Parlamenten, um Fundamente zu legen. Aber sie ist eben nicht alles.

Der Versuch, den Systemwandel von innen – und nicht offen antagonistisch, wie im Falle kämpferischer Gewerkschaften – durchzuführen (und ein DGB oder eine ver.di, sofern sie an einem Wandel interessiert sind, muss als „innen“ betrachtet werden) führt schnell zu Verstrickungen – bezahlte Funktionäre und Gewerkschaftsarbeit als Hauptberuf sind eine einfache, aber undemokratische und gewiss nicht „linke“ Lösung. Parteien haben, ohne Ausnahme, dasselbe Problem.

 

Und was ist mit den anderen linken Parteien?

Als links sozialisierte Person ist mensch geneigt, andere Maßstäbe anzulegen, was das Infragekommen von Parteien als wählbar betrifft, als die selbsternannte Mitte sie anlegt. Und daher bereit, der DKP und der MLPD als linke Parteien wenigstens die Chance zu geben, ihr Programm zu lesen.

Die DKP hat nun allerdings einen eher fraglichen Ruf, in letzter Zeit werden immer wieder Rufe nach einer Vereinigung mit der PdL (wie Die Linke von DKP-Anhängern noch immer gerne genannt wird) laut, die beide Seiten belächeln. Die DKP steht im Ruf, traditionalistisch bis ins Mark zu sein – kein gutes Aushängeschild für eine Linke, die immer noch den Vorwurf zu hören bekommt, sich als SED-Nachfolgepartei zu begreifen (eine Halbwahrheit: es handelt sich um die Fusion einer SED-Nachfolgepartei, der PDS, und eines Zusammenschlusses von enttäuschten SPD-Dissident*innen und Gewerkschafter*innen, der WASG).

Was die MLPD anbetrifft, ist sie immer durch die erstaunliche Inkonsequenz aufgefallen, alles in ihr Programm aufzunehmen, was irgendwie links klingt – ohne dabei auf Stimmigkeit zu achten. Einen Gutteil ihrer potenziellen Wählerschaft wird sich dieses Jahr durch die Solidarisierung mit pro-Palästina-Gruppen eingebüßt haben – die als Listenkandidaten fungieren. Die MLPD macht über die letzten Jahre hinweg zunehmend den Eindruck, ein Sammelbecken für alle Linken zu sein, die sonst niemand haben will.

Früher empfahl sie mir der Wahlomat mit einer gewissen Voraussehbarkeit zu jeder Wahl; ich war damals zwar sozialrevolutionär eingestellt, aber wertekonservativ bis ins Mark. Auch das hatte seine Gründe – bis dahin war mein politischer Werdegang im Wesentlichen ein Potpourri an Personen gewesen, denen ich gerne ins Gesicht gesagt hätte „Ihr seid der Grund, dass niemand Linke mag“.

Die Diversität der linken Bewegung ist nach wie vor ihre größte Stärke und ihre größte Schwäche zugleich; Die Linke sucht ihre Position zwischen einem Reformismus, wie man ihn vor hundert Jahren noch von Sozialdemokraten erwarten durfte (und wie Gregor Gysi ihn nach wie vor verkörpert, der sich jedoch überwiegend in die Europapolitik abgesetzt hat und, wie auf dem letzten Parteitag, bloß noch gelegentlich in die deutsche Politik zurückkehrt, um Genoss*innen den Kopf zu waschen) einer sozialistischen Tradition und einem tabuisierten antikapitalistisch-sozialrevolutionären Ideal – einem, das sie zwar nicht fetischisiert und zur Selbstdarstellung nutzt wie die MLPD, das gerade in der Linksjugend jedoch subkutan spürbar ist.

Und das ist keine einfache Aufgabe.